KIÖR | Schmerzh
SCHMERZH – Erinnerungen verduften nicht
Die Stadt Zürich entwickelt eine Strategie für eine inklusive und diverse Erinnerungskultur im öffentlichen Raum. Welche Geschichten fehlen? Welche Perspektiven bleiben unsichtbar? Gemeinsam mit der Künstlerin Olivia Wiederkehr haben wir ein künstlerisches Experiment gewagt, das diese Fragen ins Zentrum stellt: Die Stadt selbst wird zur Erzählerin, die von Erfahrungen spricht, die nie vollständig verarbeitet wurden. Unser Ziel war es, eine Sprache für kollektiven Schmerz zu finden und neue Formen der Auseinandersetzung zu schaffen.
Erinnerungen Raum geben
An sechs gentrifizierten Orten in Zürich – darunter der Bullinger-, Linden-, Ida- und Louis-Favre-Platz sowie der Alte Bahnhof Letten – wurden unscheinbare Schachtdeckel in „Duftmonumente“ verwandelt. Drei Wochen lang stieg eine Duftkomposition aus diesen Schächten empor und lud dazu ein, die eigene Verbindung zu diesen Plätzen und ihre oft verdrängte Geschichte zu reflektieren.
Ein rosafarbener Kreis markierte die Duftquelle, während Plakate Kontext zum Experiment lieferten, inspirierten und auf die begleitende Website Schmerzh.ch verwiesen, die das Thema vertiefte. Damit wurde ein neues Kapitel in der Erinnerungskultur aufgeschlagen, das über traditionelle Denkmäler hinausgeht. Zahlreiche lokale Vereine, Initiativen und Gruppen, die sich für die Erinnerungskultur engagieren, fanden auf der Plattform Schmerzh.ch einen gemeinsamen Raum, um ihre Perspektiven zu teilen.
Die Stadt selbst wurde zur Protagonistin und erhielt einen eigenen Instagram-Kanal, der die Intervention begleitete. Mit poetischen Posts zu Erinnerung, Schmerz und Parfüm eröffnete er eine weitere Ebene des Diskurses. Damit die Erinnerungen nicht verblassen, wurde der Duft als Raumparfüm in Flakons abgefüllt und bleibt so als Andenken präsent.
Die Reaktionen auf das Projekt waren emotional und vielfältig. Einige Menschen klebten die Schächte immer wieder ab – der Duft störte sie beim Morgenkaffee oder Abendbier, berichtete die Künstlerin Olivia Wiederkehr.
Die Medien, darunter NZZ, Tagesanzeiger und Kunstbulletin, beschrieben Schmerzh als „Duftdenkmal“, „neue Perspektive auf die Erinnerungskultur“ und „Intervention im öffentlichen Raum“, die einen öffentlichen Diskurs über Erinnerungskultur angestossen hat. Die breite Berichterstattung verdeutlicht, wie tief das Projekt Menschen berührt und zum Nachdenken angeregt hat.
Eine universelle Sprache, um über Schmerz zu sprechen
In einer Gesellschaft, die auf permanente Optimierung ausgerichtet ist, wird Schmerz oft verdrängt oder als Schwäche behandelt. Doch wie können wir über Erfahrungen sprechen, für die uns die Worte fehlen? Die Installation setzt hier einen überraschenden Kontrapunkt: Sie nutzt Duft als universelle Sprache der Erinnerung.
Die Wahl dieses Mediums ist bewusst. Unser Geruchssinn ist tief mit unserem emotionalen Gedächtnis verwurzelt. Jeder Duft, den wir mit der Nase wahrnehmen, wird mit jedem Atemzug direkt im Erinnerungszentrum abgespeichert – zusammen mit der Emotion, die wir im gleichen Augenblick fühlen. Darum können in uns über das Schnuppern eines Duftes überraschend wieder Erinnerungen und Emotionen auftauchen, von denen wir gar nicht mehr wussten, dass sie vorhanden sind. Diese Verbindung macht Gerüche zu idealen Vermittlern für schwer greifbare oder verdrängte Erinnerungen.
An ausgewählten Orten der Stadt entfalten Duftkompositionen kollektive Geschichten – auch solche, die noch nicht vollständig verarbeitet sind. Diese olfaktorische Kartografie ermöglicht einen neuen Zugang zu schmerzvollen Themen jenseits von Sprache und visueller Vermittlung.
Doch wonach riecht SCHMERZH?
Die Duftkomposition der Installation entfaltet ihre Komplexität erst beim zweiten Atemzug. Was zunächst blumig-cremig erscheint, entwickelt sich zu einer olfaktorischen Stadtbiografie: Eine erdige Basis aus Schokolade, Pfeffer und Muskatnuss spiegelt Zürichs Geschichte als internationalen Handelsplatz. Darüber liegt der Duft von Rosen, der in der Trauerarbeit therapeutisch eingesetzt wird und wie ein Schleier dunklere Facetten zu überdecken scheint. Geranien, typische Stadtblumen, bringen eine heilende Note ein, während mineralische Akzente von Strassen und Steinen die urbane Realität spiegeln.
Der Duft kombinierte natürliche ätherische Öle wegen ihrer emotionalen Wirkung mit hochwirksamen Inhaltsstoffen wie Pyrazinen, um Faszination zu erzeugen. Der Duft sollte die Fussgänger stören und sie zum Anhalten und Erkunden einladen. Während sie verweilten, wirkten die therapeutischen Eigenschaften des Duftes auf subtile Weise und verwandelten ihre Interaktion in ein intensives Erlebnis.
Die kreativen Köpfe (bzw. Nasen) hinter SCHMERZH
Kunst und die Agenturwelt hier zusammengebracht hat. Live Lab unterstützte das Projekt «Schmerzh» in der Kreation und war Olivias Partnerin bei der Konzeption, der visuellen Gestaltung und der Umsetzung des Projektes. Ein weiterer, wichtiger Partner war der mehrfach ausgezeichnete Schweizer Parfumeur Andreas Wilhelm. Seinen Erfahrungen und Expertise haben die Kreierung des Duftes massgeblich beeinflusst. Gemeinsam entstand ein experimentelles Kunstwerk, das Erinnerungskultur auf eine neue, sinnliche Ebene hebt.
Facts & Figures
Kunde: KiöR Stadt Zürich
Kategorie: Kommunikation, Social Media Content
Ort: Stadt Zürich
Datum: 2.–22. September 2024
Unser Auftrag: Co-Kreation, Design und Umsetzung
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